21.10.19

BLOG: Einführung in das Possession Value Framework

Artikel von Nils Mackay

Wichtigste Punkte

– Beim Possession Value (PV) Modell von OptaPro geht es um die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Mannschaft aus eigenem Ballbesitz heraus ein Tor erzielt.

– Das Framework bzw. Modell weist einzelnen Spielern einen Wert zu – Grundlage sind hierbei ihre Ballaktionen, die sich positiv oder negativ auf diesen Wert auswirken.

– Kevin De Bruyne und Riyad Mahrez von Manchester City sind in dieser Saison bisher die herausragenden Akteure in der Premier League. Sie weisen die höchsten Possession Value Added (PV+) Outputs auf.


Zu den Schlüsselspielern jeder Fußballmannschaft zählen diejenigen Spieler, die Tore erzielen und Torvorlagen liefern. Ein Fokus auf diese zwei Metriken alleine würde allerdings bedeuten, dass man alle anderen Aktionen auf dem Spielfeld ignoriert. Wie sollen wir beispielsweise die Ballaktionen eines defensiven Mittelfeldspielers angemessen beurteilen, wenn wir 99% seiner Aktionen nicht berücksichtigen?

Idealerweise würden wir gerne alle Aktionen eines Spielers bewerten. Machen seine Aktionen die Mannschaft besser oder schlechter? Wurde dadurch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Mannschaft ein Tor schießt oder ein Spiel gewinnt?

In den meisten Fällen ist es wenig sinnvoll, die Werte für xG und xA heranzuziehen, wenn man den Stellenwert eines zentralen Mittelfeldspielers beurteilen möchte – diese Werte sind in der Regel sehr niedrig. Stattdessen ziehen wir andere Metriken heran, wie etwa Zahlen für raumgewinnende Pässe oder Pässe ins Angriffsdrittel.

Aussagekraft haben diese Metriken in jedem Fall, aber es fehlen dennoch einige Informationen. Man kann das vergleichen mit den Torschüssen eines Offensivspielers: Hier wollen wir immer auch wissen, wie wertvoll ein Schuss war. Dasselbe gilt für Pässe ins Angriffsdrittel: Wie wertvoll war jeder dieser Pässe??

2012 wurde der xG-Wert innerhalb der angewandten Fußballanalytik eingeführt, um besser beurteilen zu können, wie wertvoll die Schüsse sind. Dadurch wurde auch die Beurteilung der Angreifer und ihrer Abschlussstärke verbessert.

Wie wäre es, wenn wir analog dazu jeder Aktion auf dem Spielfeld einen bestimmten Wert zuweisen könnten?

Wie man die Wahrscheinlichkeit ermittelt, dass ein Ballbesitz zu einem Tor führt

Spieler müssen während eines Spieles ständig Entscheidungen treffen. Dabei versuchen sie einerseits, die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs ihrer Mannschaft zu erhöhen, andererseits aber auch die Wahrscheinlichkeit zu senken, dass ihre Mannschaft ein Gegentor kassiert.

In manchen Situationen ist es ganz klar, dass eine Aktion positiv ist – beispielsweise ein Steilpass, der einen Stürmer allein auf den Weg zum Tor schickt, oder ein Ballgewinn.

Für die meisten anderen Aktionen ist die Beurteilung aber schwieriger.

Und hier kommt das Possession Value Modell von OptaPro ins Spiel. Ähnlich wie beim EPV-Modell (Expected Possession Value) im Basketball misst der Possession Value, kurz PV, die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Mannschaft aus eigenem Ballbesitz heraus ein Tor erzielt.

Das Modell ist noch in der Entwicklungsphase, wird sich aber mit dem Feedback der OptaPro-Kunden im Laufe der Saison 2019/20 weiterentwickeln.

Im Folgenden ein Beispiel, wie der Possession Value anhand einer Sequenz von Aktionen des FC Liverpool angewendet wird. Die abschließende Aktion ist ein Pass von James Milner.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Ballbesitz in diesem Moment des Spielzugs zu einem Tor führt? Zur Erinnerung: Es interessiert uns nicht, wie genau ein Tor erzielt wird. Es könnte dadurch fallen, dass der Passempfänger schießt und direkt trifft. Es könnte aber auch erst 20 Ballaktionen später nach einer Ecke erzielt werden. Solange die Mannschaft in Ballbesitz bleibt, zählt es. Das Modell schätzt einfach die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs im Laufe einer Ballbesitzphase.

In diesem speziellen Fall ermittelt das Modell eine Wahrscheinlichkeit von 3.3%, also in etwa 1 von 30 Fällen wird ein Tor erzielt. Wie kommen wir nun auf diesen Wert?

Das Modell nimmt als Grundlage für diese Schätzung bis zu fünf vorangegangene Aktionen innerhalb derselben Ballbesitzphase, wie in der Grafik oben zu sehen ist. Dann vergleicht es diese mit historischen Daten, um die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs zu ermitteln. Allgemein gilt: Je später eine Aktion innerhalb einer Sequenz stattfindet, umso größer wird ihre Bedeutung eingeschätzt. Im vorliegenden Beispiel hat also der letzte Pass von Milner eine größere Bedeutung als der Pass, der fünf Aktionen früher gespielt wurde.

An dieser Stelle fragen Sie sich möglicherweise: “Na und? Inwiefern bringt uns das denn dazu, allen Aktionen auf dem Spielfeld einen bestimmten Wert zuzuweisen?”

Betrachten wir einmal weiter das Liverpool-Beispiel und schauen uns die beiden Aktionen an, die auf Milners Pass folgen:

Nachdem Roberto Firmino den Ball von Milner bekommen hat, läuft er mit dem Ball Richtung Strafraum und spielt dann einen Steilpass (Pass in die Gasse) in den Strafraum auf Sadio Mané. Das Modell schätzt nun die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs auf 33.9%. Mit anderen Worten: Der Spieler hat mit seiner Aktion die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs seiner Mannschaft um mehr als 30 Prozentpunkte erhöht. Dies genau bezeichnen wir als Possession Value Added (oder PV+).

Indem wir das Possession Value Modell anwenden, können wir also jede Aktion auf dem Spielfeld bewerten, indem wir schauen, inwieweit sie die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs einer Mannschaft erhöht oder senkt.

Wie man den Beitrag eines Spielers zur Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs seiner Mannschaft quantifiziert

Betrachten wir ein Beispiel, in dem eine Aktion einen positiven PV+-Output für einen Spieler während eines Spielzuges liefert, aber weder einen hohen xG- noch einen hohen xA-Wert erzeugt:

Arsenals Alexandre Lacazette bekommt den Ball nach einem Einwurf innerhalb der eigenen Hälfte, während sich mehrere gegnerische Spieler in seiner Nähe befinden.

Nach der Ballannahme dreht sich der Franzose und läuft mit dem Ball tief in die gegnerische Hälfte hinein, wo er nur neun Sekunden später in folgender Position ist, um den Ball nach links zu Sead Kolašinac zu spielen.

Es ist ziemlich offensichtlich, dass dies ein wertvoller Beitrag zu Arsenals Angriffszug ist, jedoch schlägt Kolašinac eine schwache Flanke, die vom gegnerischen Verteidiger zur Ecke geklärt wird.

Lacazettes hervorragende Vorarbeit spiegelt sich nicht in einem xG-Wert wider, da kein Schuss abgegeben wurde, und auch nicht in einem xA-Wert, da die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs für Kolašinac selbst in dieser Position gering ist. Lacazettes PV+ liefert eine wesentlich genauere Darstellung seines Beitrags.

Als er den Ball nach dem Einwurf erhält, liegt der PV-Wert bei etwa 1% – am Ende seines Laufes mit dem Ball dagegen bei über 7%. Somit hat er einen PV+ von 0.06 erzeugt, was den tatsächlichen Stellenwert seines Beitrags viel besser reflektiert.

Die Aussagekraft von Possession Value besteht darin, dass wir dieses Prozedere für jede relevante Aktion auf dem Spielfeld vollziehen können. Stellen Sie sich vor: Pässe, Läufe mit dem Ball, Überspielen eines Gegners, abgefangene gegnerische Pässe, Tacklings und Ballgewinne, und sogar herausgeholte Freistöße/Elfmeter oder Ecken – alles kann auf das Modell angewendet werden.

Negative Beiträge bemessen

So wie es positive Beiträge bei eigenem Ballbesitz gibt, sind auch Ballverluste ein elementarer Bestandteil des Spiels.

Einen Ball zu verlieren, ist in zweierlei Hinsicht von Nachteil für die eigene Mannschaft: Erstens ist jeder Wert des bisherigen Ballbesitzes verloren. Zweitens ist der Gegner nun in Ballbesitz, was potenziell gefährlich ist.

Diese beiden Faktoren werden in das PV-Modell einbezogen, wenn es um die Bemessung des negativen Beitrages eines Spielers geht.

Betrachten wir einmal zwei verschiedene Szenarien, um zu sehen, wie dies angewendet wird:

Szenario 1 – Watford gegen Arsenal: Sokratis Papastathopoulos

Sokratis hat den Ball im eigenen Strafraum. Er versucht eine Spieleröffnung, doch Gerard Deulofeu fängt seinen Pass ab.

– Lost value of possession = 0.01 (Wertverringerung durch Ballverlust = 0.01)
– Danger of opponent possession = 0.14 (Gefahr des gegnerischen Ballbesitzes = 0.14)

Insgesamt erhält Sokratis hier einen Wert von -0.15 PV+..

Szenario 2 – Tottenham Hotspur gegen Crystal Palace: Cheikhou Kouyaté

Crystal Palace bekommt knapp außerhalb des Strafraums auf der linken Seite einen Freistoß zugesprochen.

Der Freistoß geht auf den zweiten Pfosten, wo Kouyaté ihn in die Mitte zurückbringen will. Das klappt nicht und der Gegner kann klären.

– Lost value of possession = 0.17 (Wertverringerung durch Ballverlust = 0.17)
– Danger of opponent possession = 0.01 (Gefahr des gegnerischen Ballbesitzes = 0.01)

Daraus folgt, dass Kouyaté hier einen Wert von -0.18 PV+ erhalten würde, wenn man denselben Maßstab wie bei Sokratis anwenden würde..

Der Kontext dieser beiden Szenarien ist aber völlig verschieden. Beim ersten Beispiel ist es ganz klar, dass Sokratis’ individueller Fehler im eigenen Strafraum direkt einen Wechsel beim PV nach sich zieht, während man in Kouyatés Fall behaupten kann, dass mehrere seiner Mitspieler eher eine Schuld trifft, weil sie nicht in Position gelaufen waren, um seine Hereingabe anzunehmen.

Beim Analysieren früherer Ergebnisse haben wir einen großen negativen Einfluss auf den Torerfolg (auf die PV+-Werte) bei jenen Spielern entdeckt, die häufig an Angriffsaktionen beteiligt sind.

Unserer Meinung nach ist es entscheidend, dass Schuld bzw. Anerkennung nur dort verteilt wird, wo es auch berechtigt ist. Daher gibt es in unserem Modell bei der “Bestrafung” für Ballverluste eine Obergrenze von 0.025 (der durchschnittliche PV-Wert eines Ballbesitzes).

Das bedeutet, dass in diesem Beispiel Kouyaté einen Wert von -0.025 für den Ballverlust seiner Mannschaft zugeschrieben bekommt, und -0.01 für die daraus resultierende Gefahr durch den gegnerischen Ballbesitz.

Wenn man auf diese Weise negative Werte verteilt, dann bestraft man immer noch angreifende Spieler, die den Ball unnötig verlieren, aber nicht über Gebühr.

Wie man herausragende Spieler identifiziert

Letztendlich werden alle Spieler sowohl nach ihren positiven Beiträgen als auch nach den negativen beurteilt. Es ist gut, wenn man viele positive Beiträge liefert, aber nur dann, wenn diese die negativen Beiträge überwiegen. So erhalten wir die Möglichkeit die risikofreudigeren Spieler mit demselben Maß zu messen wie die risikoscheueren Spieler.

Um Ihnen einen Eindruck davon zu vermitteln, wie wir auf diese Weise die herausragenden Leistungen identifizieren können, haben wir in der Tabelle unten die Spieler mit dem höchsten PV+-Wert pro 90 Minuten für jedes Team der Premier League in dieser Saison gelistet. Eine Anmerkung allerdings: Die Probengröße ist relativ gering, da erst wenige Partien gespielt sind. Die Spieler sind gelistet nach der aktuellen Tabelle der Liga.

Wie man sieht, sind die Werte in vier Kategorien eingeteilt – eine positive und drei negative:

(+) Progressive Actions (Raumgewinnende Aktionen). Dabei handelt es sich um Aktionen mit einem positiven PV+-Wert, mit blauer Farbe unterlegt.

(-) Successful Yet Regressive Actions (Erfolgreiche Aktion mit Raumverlust). Dies sind erfolgreich abgeschlossene Ballaktionen, denen aber ein negativer PV+-Wert zugewiesen ist – mit roter Farbe unterlegt

(-) Ballverlust (beispielsweise die -0.025 PV+ für Kouyaté).

(-) Ballverlust mit direkt anschließender Gefahr durch den Gegner (beispielsweise die -0.14 PV+ für Sokratis).

Als Spieler möchte man, dass die positiven Mitwirkungen an einem Angriff die negativen überwiegen. Mit anderen Worten, dein blau unterlegter Balken sollte länger sein als alle negativen Balken zusammengenommen.

Riyad Mahrez ist hier bisher der Beste der Liga, allerdings tauchen in der Tabelle Spieler verschiedener Positionen auf – das belegt, wie das Modell für die Beurteilung aller Spieler auf dem Feld genutzt werden kann (wobei es nicht optimal ist, Spieler auf verschiedenen Positionen direkt miteinander zu vergleichen).

Betrachtungen jenseits von Schüssen und tödlichen Pässen

Mit dem Possession Value können Mannschaften Spieler anhand aller ihrer Aktionen beurteilen.

Ergänzend zu den bereits bestehenden Advanced Metriken, die als Hilfe bei der Beurteilung der Leistung beim Torabschluss (xG) und der Passqualität im Angriffsdrittel (xA) gedacht sind, liefert uns der PV einen Wert für alle Ballaktionen von Defensivspielern oder für den tatsächlichen Stellenwert von Defensivaktionen wie etwa N’Golo Kantés abgefangenen Pässen.

Falls Sie mehr über das Modell erfahren möchten oder Sie Fragen dazu haben, was wir bisher entwickelt haben, kontaktieren Sie uns gerne unter pro@optasports.com.

If you would like to know more about the model or have any questions relating to what we have developed so far, please do get in touch with us at pro@optasports.com

Im nächsten Blog werden wir weitere Beispiele dafür erläutern, wie der PV für Informationen zur Leistungsanalyse und für Neuverpflichtungen angewendet werden kann, mit einem Schwerpunkt auf anderen nützlichen Metriken, die man aus diesem Modell ableiten kann.

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