04.07.19

BLOG: Spielphasen – eine Einführung

Artikel von Tom Worville

Der Ballbesitz ist seit jeher ein zentrales Diskussionsthema im Fußball.

Ballbesitz wurde üblicherweise durch den Anteil der Pässe, den eine Mannschaft in einem Spiel hat. beschrieben. So wird die Ballbesitzquote in Prozent ermittelt, die in den meisten Spielstatistiken zu sehen ist. Im Jahr 2017 hat OptaPro ein Ballbesitz- und Sequenzen-Framework (engl.: possession and sequences) vorgestellt und damit gezeigt, wie sich Events zu Sequenzen verknüpfen lassen, die sich wiederum zu Ballbesitzphasen verknüpfen lassen.

Dieses Framework ist ein ideales Instrument, um den Spielstil einzelner Spieler, aber auch ganzer Mannschaften zu analysieren. Über die Messung des Ballbesitzanteils hinaus können wir Erkenntnisse darüber gewinnen, was Mannschaften mit dem Ball anstellen und die Effizienz ihrer Entscheidungen bewerten.

Darauf aufbauend, kann man die Teile einer Angriffssequenz besser verstehen, die zusammen den Spielstil einer Mannschaft beschreiben. Dies geschieht, indem den Bestandteilen einer Sequenz (d.h. den einzelnen Events) Spielphasen zugeschrieben werden – basierend auf dem Spielfeldort, an dem das Event stattgefunden hat, und was sich davor und danach ereignet.

Das Modell befindet sich noch in Entwicklung und wird im Laufe des Jahres 2019 auch anhand von Feedback der OptaPro-Kunden weiterentwickelt.  Die aktuelle Version wurde bei #OptaProSoccer und der diesjährigen #OptaProKonferenz vorgestellt.

Das bestehende Modell ist regelbasiert und die Klassifizierung der Ereignisse in Phasen hängt davon ab, ob bestimmte Kriterien erfüllt werden oder nicht.

Das Modell identifiziert die folgenden Phasen:

-Umschalten (engl.: Transition)

-Spielaufbau (engl.: Build Up Play)

Positionsspiel (engl.: Established Possession)

Lange Bälle (engl.: Direct Long Play)

Angriffsspiel (engl.: Attacking Play)

Standards (engl.: Set Play)

Fußball steht an erster Stelle

Unser Ansatz basiert auf der Fußball-Expertise von OptaPro und dabei „steht Fußball an erster Stelle“.

Die Entscheidung, einem „fußball-basierten“ Ansatz statt einem „daten-getriebenen“ Ansatz zu folgen, hat gute Gründe. Wenn man eine Fußballphilosophie in ihre Bestandteile zerlegen will, ist immer Subjektivität im Spiel. Ist Ihre Definition für Umschaltspiel die gleiche wie meine? Kann eine Mannschaft in einer Sequenz mehrfach Spielaufbau betreiben? Und so weiter.

Indem wir einen Satz Regeln aufstellen und die Regeln in Folge anhand der Daten- und Videoauswertung anpassen, können wir besser erklären, wie dieses Modell aufgebaut ist und aus welchen Gründen die einzelnen Events bestimmten Spielphasen zugeordnet werden. Einer der wichtigsten Faktoren für die Vermittelbarkeit analytischer Modelle ist bekanntlich, dass man die gleiche Sprache spricht. Mit dem regelbasierten Ansatz stellen wir sicher, dass die Gründe für die Zuweisung zu einer Spielphase nachvollziehbar sind. Zudem werden die Spielphasen manuell definiert anstatt sie von einem datenbasierten Blackbox-Modell generieren zu lassen.

Nachfolgend betrachten wir die einzelnen Phasen nacheinander – Standardsituationen werden in diesem Artikel allerdings nicht berücksichtigt. Dabei lernen wir auch einiges über Metriken auf Spieler- und Teamebene, die sich aus unserem Framework ableiten lassen.

Umschalten/Umschaltspiel

Die Zeitspanne zwischen Ballgewinn und der Ballsicherung oder dem Positionsspiel.

Merkmale

– In dieser Phase versuchen Mannschaften in Ballkontrolle zu kommen.

– Das Umschaltspiel beginnt im laufenden Spiel und folgt auf einen gegnerischen Ballbesitz.

– Umschalten ist nicht immer erfolgreich.

– Ein Team befindet sich solange im Umschalten, bis entweder ein Pass mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit gespielt wird, der über einem gewissen Schwellenwert liegt, oder bis ein Spieler für eine gewisse Zeit im Ballbesitz bleibt.

 

Die Tabelle unten führt die Spieler auf, die in der vergangenen Bundesligasaison am häufigsten einen Spielphasenwechsel aus der Umschaltphase initiierten (engl.: Outlet), also den Ball für die eigene Mannschaft abgesichert haben.

Daraus erkennen wir, wie wertvoll Thiago für Bayern München im zentralen Mittelfeld ist. Mit 42.65 erhaltenen Pässen in der Defensivhälfte pro Spiel in der vergangenen Saison hat er mehr als jeder andere Mittelfeldspieler in der Bundesliga erhalten und erweist sich dabei auch als Schlüsselspieler, um das Team aus dem Umschalten in die nächste Spielphase zu führen.

Bemerkenswerterweise spielen viele der aufgelisteten Spieler auf ähnlichen Positionen im zentralen Mittelfeld und erhalten nach dem Ballgewinn oft den Ball, um Angriffe einzuleiten.

Spielaufbau

Wie eine Mannschaft das Spiel aus der eigenen Hälfte eröffnet und dann den Ball ins Mittelfeld spielt, zentral oder nach außen.

Merkmale

– Gekennzeichnet durch kontrollierten Ballbesitz in der eigenen Hälfte.

– Kann in der gegenwärtigen Fassung des Modells nur einmalig erfolgen – dies wird möglicherweise noch geändert.

– Die Phase endet, wenn der Ball die Mittellinie überquert.

– Dies basiert in der Regel auf den taktischen Zielen der Mannschaft und ist ein Indikator für den bevorzugten Spielstil (zumindest zu Beginn eines Spiels und in Abhängigkeit des Spielstandes).

 

Analysen, wie lange sich eine Mannschaft anteilig in einer Phase befindet, ermöglichen uns beispielsweise, die Merkmale ihres Spielaufbaus besser zu verstehen.

Vergleicht man das obige Ranking mit der Abschlusstabelle der Bundesliga, ist zu erkennen, dass verschiedene Spielstile zum Erfolg führen können. Während RB Leipzig mit knapp über 20% am wenigsten Zeit mit Spielaufbau in der eigenen Hälfte verbrachte, ist der VfL Wolfsburg auf Platz zwei zu finden. In der Abschlusstabelle haben sich allerdings beide Teams im vorderen Drittel platziert.  

Ein genaueres Bild ergibt sich, indem man zusätzlich das Verhalten der Teams in den übrigen Spielphasen betrachtet.

Positionsspiel

Kontrollierter Ballbesitz im mittleren Drittel des Spielfeldes, währenddessen Spieler Zeit für mehrere Ballberührungen haben oder mehrere schnelle Pässe zwischen den Mitspielern gespielt werden können.

Merkmale

– Der häufigste Phasentyp, in dem sich die Mannschaften befinden.

– Umfasst Events, die zu einer Sequenz mit mindestens 2 Ballberührungen gehören.

– Findet entweder nach erfolgreichem Spielaufbau oder direkt nach dem Umschalten statt.

– Kann auch nach Standardsituationen eintreten.

 

Die Phase des Positionsspiels ist diejenige, in der die Teams den Ball im Mittelfeld kontrollieren, der somit ein Großteil der Spielsituationen zugeordnet wird.

Interessanterweise rekrutierten sich die vier höchstplatzierten Teams dieser Liste auch aus den Top 5 der Bundesliga-Abschluss-Tabelle – Ausnahme ist hier RB Leipzig, deren Spielstil sich deutlich von dem der restlichen Top 5 unterscheidet. Auffällig ist zudem, dass Eintracht Frankfurt einen nicht weniger erfolgreichen, wenn auch deutlich anderen Spielstil zeigte.

Lange Bälle

Mannschaften versuchen, durch lange Bälle Raum zu gewinnen.

Merkmale

– Alle langen Bälle in die Tiefe mit einer Direktheit (Anteil der Distanz in Richtung des gegnerischen Tors) von mindestens 75 % werden berücksichtigt.

– Erfüllt zusätzlich alle Kriterien des Positionsspiels.

– Üblicherweise ein Versuch, das Spielfeld schnell zu überbrücken.

 

Lange Bälle beschreibt den Versuch einer Mannschaft, den Ball in die Tiefe des Raumes zu spielen, sodass ihn ein Angreifer mit dem Fuß oder Kopf verwerten kann oder er hinter die gegnerische Abwehr gelangt. Die Rangliste unten zeigt die Spieler, die am häufigsten an diesen Phasen beteiligt waren – entweder als Abnehmer des Balls in dieser Phase oder als Spieler solcher Pässe.

Interessanterweise sind in der Rangliste ganz oben keine Angreifer zu finden. In der vergangenen Bundesligasaison gab es offensichtlich keine Spieler, auf die ein Spiel mit langen Bällen speziell zugeschnitten war. Die Zielspieler langer Bälle variierten. Die Spieler der Top 10 der Rangliste waren ausnahmslos Innenverteidiger, die die langen Bälle spielten. Die meisten langen Bälle pro Spiel spielte Kevin Wimmer gefolgt von Jeffrey Gouweleeuw und Martin Hinteregger.

Angriffsspiel

Kontrollierter Ballbesitz im letzten Spielfelddrittel.

Merkmale

– In dieser Phase versuchen Mannschaften, in den Strafraum zu gelangen und Chancen zu kreieren.

– Die Angriffsphase kann auf verschiedene Wege erreicht werden.

– Das Spiel eines Teams kann in die Angriffsphase übergehen, diese aber auch wieder verlassen.

 

Die Angriffsphase berücksichtigt alle Events, die den Kriterien des Positionsspiels entsprechen und im letzten Spielfelddrittel stattfinden. Um den Moment zu identifizieren, in dem die Mannschaften ihr Spiel ändern und vom Positionsspiel in das Angriffsspiel wechseln und versuchen, Chancen zu kreieren, wurde ein sogenanntes Switch-Point-Modell herangezogen.

Die Grafik unten zeigt die Spieler, die das Spiel ihrer Teams am häufigsten in die Angriffsphase überführten.

Nachdem beide Spieler schon beim Umschalten in den Top 10 aufgetaucht sind, sieht man hier nun, wie wichtig Thiago und Axel Witsel für ihre Mannschaften im Offensivspiel sind. Beide Spieler initiierten oft das Angriffsspiel ihrer Teams. Außerdem wird aus dem Ranking deutlich, wie wertvoll die weniger prominenten Julian Baumgartlinger und Diego Demme für ihre Teams sind.

Optimierung der Gegneranalyse und Spielnachbereitung

Wie zu Beginn bereits erwähnt, wird das OptaPro-Spielphasenmodell noch verfeinert und die Regeln können eventuell in der näheren Zukunft noch leicht angepasst werden.

Dieser Blogbeitrag hat hoffentlich einen guten Einblick in die Analysen gegeben, die auf Team- und Einzelspielerebene mit Hilfe des Spielphasenmodells möglich sind, und wie diese in Zukunft für Gegner- und Spielanalysen sowie für das Scouting eingesetzt werden können.

Wenn Sie mehr über das Modell erfahren möchten oder Fragen zum derzeitigen Entwicklungsstand haben, nehmen Sie bitte unter pro@optasports.com Kontakt mit uns auf.

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