OptaPros Datenwissenschaftler Will Gürpinar-Morgan stellt seinen Debüt-Blog für OptaPro vor, in dem er über Cluster beim Passspiel von zentralen Defensivspielern in der Premier League schreibt.
Schlüsselerkenntnisse
– Innenverteidiger in der englischen Premier League wurden in den jüngsten Spielzeiten immer wichtiger bei Ballbesitzphasen der eigenen Mannschaft. Dieser Trend ist besonders deutlich bei den “Big 6”-
– Auffällig ist, dass die Verteidiger im Ballbesitz deutlich höher positioniert sind und ihre Pässe entweder der Ballzirkulation im Ballbesitzspiel dienen, oder als Zuspiele auf die offensiven Flügelkorridore angelegt sind.
– Diese Veränderungen beim Passspiel und beim Ballbesitz haben die Erfolgsquoten der gespielten Pässe von Innenverteidigern nicht entscheidend beeinflusst.
Fußball ist ein sich ständig entwickelndes Spiel, bei dem die Dominanz verschiedener Stile und Systeme zu- und wieder abnimmt. Trainer kommen und gehen und bestimmte Spielphilosophien werden mit Erfolgen oder Fehlschlägen assoziiert. Dabei ändern sich die Rollen und Verantwortlichkeiten der jeweiligen Spieler; die Anforderungen an eine bestimmte Position haben sich auch in der jüngeren Vergangenheit gewandelt.
Für die Analyse stellt diese eine große Herausforderung dar, da sich die Profile der Spieler und die Erwartungen an diese beständig ändern. So lassen sich elementare qualitative Aussagen über die gewachsene Bedeutung von Pressing und Ballbesitzspiel im modernen Fußball treffen. Aber wie lässt sich das auf quantitative Weise verlässlich abbilden? Wie haben übergreifende Trends Spieler auf dem Platz beeinflusst?
Ein gutes Beispiel für sich dauerhaft verändernde Anforderungen an Spieler sind die technischen Fertigkeiten, die von modernen Innenverteidigern, neben den klassischen Defensivqualitäten, erwartet werden. Für die folgende Analyse haben wir uns Trends und Muster bei Pässen von Innenverteidigern aus dem Spiel heraus über die vergangenen sieben Spielzeiten sowie die Hinrunde 2018/19 in der englischen Premier League angeschaut.
Werte gelten für Innenverteidiger in der Startaufstellung, wobei die Anzahl an Pässen je Einzelspieler kalkuliert wurde. Der Passanteil wird auf Mannschaftsebene kalkuliert (was bedeutet, dass der Anteil an Pässen aller Innenverteidiger mit der übrigen Mannschaft ins Verhältnis gesetzt wird).
Trends beim Passspiel
In den vergangenen 7,5 Spielzeiten ist der durchschnittliche Premier League Innenverteidiger immer stärker in die Ballbesitzphasen seiner Mannschaft involviert worden.
In der Saison 2011/12 wurden 30 Pässe pro 90 Minuten gespielt, was 17% aller Pässe der eigenen Mannschaft darstellt. In den folgenden vier Spielzeiten ging dieser Anteil leicht nach oben, bevor es einen signifikanten Anstieg gab. In der aktuellen Saison spielt der durchschnittliche Innenverteidiger in der Premier League 40 Pässe pro 90 Minuten (24% aller Pässe des eigenen Teams). Es gab in diesem Zeitraum keinen klaren Trend hinsichtlich der Passquoten, auch wenn die aktuelle Saison die höchste Erfolgsrate aufweist.
Diese Trends waren an beiden Enden der Tabelle sichtbar: Sowohl die Innenverteidiger der Aufsteiger als auch der “Big 6” waren im Laufe der Zeit stärker in das Ballbesitzspiel eingebunden. Der Anstieg in den vergangenen 2,5 Spielzeiten war besonders deutlich bei den “Big 6”, bei denen die zentralen Abwehrspieler in dieser Saison 60 Pässe pro 90 Minuten gespielt haben (25% der Pässe ihrer Mannschaften). Zum Vergleich: Es waren 40 Pässe pro 90 Minuten Zwischen 2011/12 – 2013/14 waren es 40 Pässe/90 Minuten (Anteil 18% – 19%). Ein anderer klarer Trend: Die Innenverteidiger spielen ihre Pässe von einer immer höheren Position auf dem Spielfeld. Dies gilt insbesondere für die Top Klubs.
Diese Veränderungen sind nicht nur eine Konsequenz der jüngsten Entwicklung hin zur Dreier-Kette. Dieser Trend kann auch bei den Mannschaften beobachtet werden kann, die vorrangig mit zwei Innenverteidigern antreten.
Cluster von Pässen
Diese Zahlen zeigen ein grundsätzliches Muster, was den größeren Spielanteil von zentralen Abwehrspielern im Ballbesitz angeht. Nun gehen wir tiefer in die Analyse und schauen uns die Veränderungen der räumlichen Aspekte des Passspiels im Laufe der Zeit an. Die folgende Analyse verwendet einen “Machine Learning”-Algorithmus (genannt “k-means clustering”). Ziel ist es, sich ähnelnde Pässe – basierend auf den Koordinaten des Start- und Endpunkts eines Zuspiels sowie auf weiteren Merkmalen (z.B. Zuspiel per Fuß oder Kopf) – zu gruppieren. Auf diese Weise kommen wir auf 50 verschiedene Arten von Pässen, die wir als “Cluster” bezeichnen.
Insgesamt gibt es einen hohen Grad an Symmetrie bei Pass-Clustern, was darauf hindeuten könnte, dass die Passkoordinaten normalisiert werden sollten. Allerdings gibt es häufig Unterschiede bei der Quote der erfolgreichen Pässe sowie kleinere Unterscheidungen bei den Passzonen (Start- und Endpunkt). Deshalb wurden die Original-Koordinaten für die Analyse erhalten.
Die Grafik unten stellt vier dieser Cluster vor, die sehr wichtig sind für den Passaufbau von zentralen Verteidigern. Die Beispiele zeigen 100 zufällige Pässe aus der Saison 2018/19. Die durchschnittliche Passquote für jede Gruppe wird oberhalb der Spielfeldansicht angezeigt. Die kreisförmigen Markierungen stellen den Ausgangspunkt des Passes da.
Wir können deutlich Überschneidungen bei den Passmustern sehen und annehmen, dass die typischen Empfänger die Torhüter oder die Mitspieler in der zentralen Defensive sind. Diese Pässe sichern den Ballbesitz in der eigenen Hälfte und sind generell “einfache” Pässe, die in den meisten Fällen ankommen werden. Aber natürlich können sich Fehlpässe in diesen Regionen als kostspielig erweisen. Wenn man die vier Cluster miteinander kombiniert, zeigt sich, dass diese Pässe relativ unregelmäßig erfolgen. Der durchschnittliche Innenverteidiger versucht diese Pässe ungefähr fünfmal in 90 Minuten, wobei es im Laufe der Zeit einen leichten Anstieg zu verzeichnen gab. Die Passquote in dieser Gruppe erweist sich über die Zeit als stabil, auch wenn ihr proportionaler Anteil in den jüngsten Spielzeiten leicht zurückgegangen ist.
Die nächste Grafik stellt eine weitere Gruppe an Clustern dar. Dabei handelt es sich um relativ einfache Pässe seitwärts, die zu einem hohen Anteil beim Mitspieler ankommen. Die Cluster unterscheiden sich von der vorherigen Gruppe insofern, dass diese Pässe weiter vorne auf dem Feld gespielt werden.
Diese Pässe stellen einen größeren Anteil im Passarsenal eines Innenverteidigers der Premier League dar. Der Anteil ist im Laufe der Zeit von rund 11 auf über 13 Pässen innerhalb von 90 Minuten angestiegen. Ähnlich wie oben bei den weit hinten gespielten Pässen ist der proportionale Anteil von 33 auf 30 Prozent leicht gesunken.
Längere Pässe, deren Ziel generell in der gegnerischen Hälfte liegt, werden in der folgenden Grafik angezeigt, wobei sowohl diagonale Steilpässe über das Spielfeld hinweg als auch vertikale Pässe entlang des Spielfelds dargestellt werden. Die Länge und der Schwierigkeitsgrad dieser Pässe erklären, dass ihre Erfolgsquoten wesentlich niedriger sind als die der vorigen Beispiele.
Diese Pässe sind relativ selten bei durchschnittlichen Innenverteidigern in der Premier League, wobei es im Laufe der Zeit einen leichten Anstieg von 4 auf 6 Pässe pro 90 Minuten gab. Der Anteil blieb relativ stabil bei 13 bis 14 Prozent. Die längeren horizontalen Pässe hatten im Laufe der Zeit eine gleichbleibende Erfolgsquote.
Die letzte Grafik zeigt Beispiele von Pässen aus vorgerückten Positionen höher auf dem Spielfeld. Diese haben im Laufe der vergangenen 7,5 Spielzeiten eine Passquote von 83 % oder höher. Diese Cluster sind überwiegend dadurch charakterisiert, dass es sich dabei um Pässe seitwärts entweder in die Zentrale oder in äußere Bereiche handelt. Einige bringen den Ball in offensivere Zonen des Spielfeldes.
Die Zahl dieser Pässe ist im Laufe der Zeit signifikant angestiegen – von rund vier pro 90 Minuten in früheren Spielzeiten bis hin zu beinahe acht Pässen in der aktuellen Saison. Dabei gab es nicht nur einen Anstieg bei der Anzahl, sondern auch einen proportionalen Anstieg von 11 auf 17 % im Laufe der Zeit. Und die Rate der angekommenen Pässe ging von rund 89 % auf 95 % nach oben.
Passverantwortlichkeit
Im Allgemeinen spielt der durchschnittliche zentrale Verteidiger heutzutage eine größere Rolle im eigenen Ballbesitz als noch zu Beginn dieser Dekade. Das zeigt sich sowohl an der Gesamtzahl der gespielten Pässe, als auch an ihrem proportionalen Anteil im Verhältnis zu ihrer Mannschaft.
Die oben ausgeführte Analyse zeigt, dass dies nicht nur ein Ergebnis davon ist, dass mehr einfache Pässe in der eigenen Hälfte gespielt werden, um den Ball im eigenen Besitz zu halten. Der proportionale Anteil solcher Pässe ist im Laufe der Zeit zurückgegangen. Längere Pässe waren im Laufe der Jahre stets vertreten, was ihren proportionalen Anteil angeht. Die Menge wie auch die Erfolgsquote sind ständig nach oben gegangen.
Der Hauptgrund für die immer wichtiger werdende Rolle des modernen Innenverteidigers in der Premier League in Ballbesitz sind Pässe, die in einem offensiveren Bereich auf dem Spielfeld beginnen, um entweder den Ball im mittleren Spielfelddrittel im Besitz zu behalten oder den Ball in äußere Bereiche zu bringen. Solche Pässe sind im Laufe der 7,5 Spielzeiten proportional stärker vertreten, werden häufiger gespielt und haben eine deutlich höhere Genauigkeit.
Diese Aussagen gelten insbesondere für die Top-Teams der Premier League, die regelmäßig erwarten, dass ihre zentralen Defensivspieler sowohl im Ballbesitz als auch ohne Ball eine höhere Position einnehmen.
Basierend auf der hier vorgestellten Analyse muss der moderne Innenverteidiger in der Premier League nicht nur sein Spiel im eigenen Ballbesitz kultivieren, sondern auch in der Lage sein, dass Spiel von einer höheren Position auf dem Spielfeld aus zu dirigieren und voranzutreiben. Es geht nicht vorrangig darum, die Kunst des Defensivspiels zu meistern – zentrale Verteidiger müssen darüber hinaus auch zusehends Aufgaben übernehmen, die früher in der Zuständigkeit der Mittelfeldspieler vor ihnen lagen. Diese Anforderungen gelten mit großer Wahrscheinlichkeit auch in anderen Ligen, da sie Teil eines übergreifenden Trends bei Systemen und Spielen sind. Dieser Analyse-Rahmen kann auch auf andere Positionen und Rollen angewendet werden.
Diese Erkenntnisse können bei der Auswahl von Spielern und der taktischen Analyse eingesetzt werden, da mit ihrer Hilfe Profile der Pass-Tendenzen unterschiedlicher Spieler und Positionen abgebildet werden. Darüber hinaus bieten sie eine Vorlage für die Trainerausbildung und die Spielerentwicklung, da sich die Anforderungen an defensive Spieler im Laufe der Zeit weiterentwickeln.